“In einer Demokratie gibt es keine einfachen Lösungen”
Veröffentlicht
von
Yves Greis
am 15/09/2024 um 08:09
Wie schätzen sie den Zustand der Demokratie in Luxemburg und in den Nachbarländern ein?
Marc Schoentgen: “Die Situation in Luxemburg unterscheidet sich von anderen Ländern.” In Luxemburg wird die Demokratie nicht von demokratiefeindlichen Parteien infrage gestellt. Demokratie ist aber keine selbstverständliche und muss immer im Auge behalten werden.”
Wieso unterscheidet sich Luxemburg in dieser Hinsicht von seinen Nachbarländern?
“Das hat sicherlich damit zu tun, dass die klassischen Parteien in Luxemburg es vermögen, die Leute anzusprechen. Parteien am Rande haben keine großen Erfolge. Es hat sicherlich auch mit dem Wohlstand zu tun und damit, dass wir Institutionen haben, die gut funktionieren. Und mit der kleinen Größe des Landes. In Luxemburg haben die Menschen auch ein großes Vertrauen in die Institutionen, die Parteien und die Presse. In anderen Ländern trauen die Menschen der Presse nicht und glauben, die Regierung mache ihre Arbeit nicht richtig.”
Ist da nicht sogar etwas dran, dass Regierungen manchmal nicht auf Probleme der Menschen eingehen?
“Oft ist die Kritik nicht ganz rational und Gefühls-basiert. Ein großes Land wie Frankreich z.B. ist einer Vielzahl von innen- und außenpolitischen, ökonomischer und ökologischer Herausforderungen ausgesetzt. Parteien und Institutionen haben nicht immer eine schnelle Antwort darauf. Es gibt keine einfachen Lösungen für komplexe Probleme. Das ist in einer Demokratie so.”
Eine Herausforderung in Luxemburg, über die immer wieder gesprochen wird, ist, dass ein großer Teil der Bevölkerung nicht an den Wahlen teilnehmen darf. Dort, wo Ausländer an Wahlen teilnehmen dürfen, ist ihre Wahlbeteiligung oft niedrig.
“Bei den Kommunalwahlen und bei den Europawahlen besteht die Möglichkeit, dass ausländische Mitbürger wählen können. An Nationalwahlen dürfen sie nicht teilnehmen. Das wird oft als Demokratiedefizit gesehen. Dort, wo Menschen die Möglichkeit haben zu wählen, nutzen sie diese aber nicht immer. Das hat verschiedene Ursachen.
Zum einen wurde das Ausländerwahlrecht auf nationaler Ebene in einem Referendum vor einigen Jahren abgeschmettert. Zum anderen besteht oft kein Interesse teilzunehmen, weil ja alles in Ordnung ist, oder weil kein Interesse für Politik besteht. Daneben gibt es die sprachliche Herausforderung.”
Dabei werden doch in Luxemburg Wahlbroschüren in vielen Sprachen publiziert und Politiker fordern Ausländer immer wieder dazu auf, an den Wahlen teilzunehmen…
“Seit das Ausländerwahlrecht auf kommunaler Ebene eingeführt wurde, steigt die Zahl derer, die sich einschreiben, kontinuierlich. Es tut sich also etwas, aber wir sind noch weit von dem hohen Wert entfernt, den die Politik sich erhofft. Daneben gibt es natürlich einige, die luxemburgische Staatsangehörigkeit annehmen und sich nicht mehr einschreiben müssen. Man erreicht natürlich nicht alle Menschen. Deshalb müssen die Anstrengungen weitergehen – und zwar nicht nur in den Wahljahren.”
Was ist die größte Herausforderung für die Demokratie in Luxemburg und in Europa?
“In Luxemburg ist es die Partizipation der Hälfte der Bevölkerung, die nicht die Staatsbürgerschaft besitzt. Als Demokratien stehen wir vor der großen Herausforderung, Antworten auf eine Reihe von Problemen zu finden: von der Ukraine bis zum Klimawandel. Einige haben das Gefühl, dass Demokratie diese Probleme nicht lösen kann. Vielleicht ist es gerade die Demokratie, die diese Probleme lösen kann.”
In den USA beobachten wir eine Polarisierung der Gesellschaft. Sehen sie eine solche Entwicklung auch bei uns?
“In bestimmten Blasen in den sozialen Netzwerken kann man das auch in Luxemburg beobachten. Es ist natürlich schwer zu sagen, wie gut das die ganze Gesellschaft abbildet. Natürlich gibt es heute Plattformen, auf denen man sich artikulieren kann und auf denen ein anderer Ton herrscht.
Man muss beachten, dass die USA sich von uns unterscheiden. Sie haben ein Zweiparteiensystem und der Wahlkampf ist stark auf Personen bezogen. Der Trumpismus hat die Debatte dort stark verändert, auch in Bezug auf die Rhetorik und den Umgang miteinander. Es wird mit anderen Bandagen gekämpft. Man kann das nicht eins zu eins mit Luxemburg vergleichen.”
Sind soziale Medien schlecht für die Demokratie?
“Nein! Das habe ich nicht gesagt. Als diese Plattformen entstanden sind, haben wir darin viele positive Chancen gesehen. Heute sehen wir auch die Gefahren. Algorithmen sorgen dafür, dass wir nur mit Leuten in Kontakt kommen, die unsere Meinungen bestätigen. Soziale Medien sind ein Werkzeug, mit dem wir arbeiten. Wir müssen aber Anstrengungen in Sachen Medien-Pädagogik machen. Man muss ständig Meinungen hinterfragen. Das muss trainiert und zum Beispiel in der Schule gelehrt werden. Das ist extrem wichtig, weil soziale Medien bei jungen Leuten die klassischen Medien ersetzen.”
Sie haben Schüler angesprochen. Heißt das, bei den Älteren ist alles in Ordnung?
“Nein. Das betrifft jeden, der in den sozialen Netzwerken unterwegs ist. Das ZpB arbeitet natürlich viel mit jungen Leuten, die wir erreichen können. Medien-Pädagogik kann man in der Schule machen. Einige Ältere, die – überspitzt formuliert – in ihrer Blase stecken, sind schwer zu erreichen und zu überzeugen.”
Beherrschen rechte Parteien die sozialen Medien besser als zum Beispiel Parteien der Mitte?
“In Deutschland ist die AFD in den sozialen Medien viel sichtbarer als die klassischen Volksparteien und versucht dort junge Menschen zu erreichen. Die traditionellen Parteien müssen sich darüber im Klaren sein, wo gespielt wird – wo vor allem junge Menschen sich informieren – um den Anschluss nicht zu verpassen.”
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