Bekommen Grenzgänger überhaupt noch Arbeitslosengeld?
Veröffentlicht
von
KaptanListe
am 22/11/2004 um 00:11
Luca schreibt am 21.11.2004 in unserem Forum:
“Hallo an alle Teilnehmer an diesem Forum!
Ich habe folgende Frage: Ich bin eine ehemalige Grenzgängerin. Bis September dieses Jahres war in im Erziehungsurlaub. Dann wurde mir von meiner Firma gekündigt. Es hat ziemlich lange mit der Bescheinigung des Arbeitgebers gedauert. Aber letzte Woche habe ich ein Schreiben vom Arbeitsamt erhalten, in dem steht, ich hätte keinen Anspruch auf ALG, da ‘die Anwartschaftszeit nicht erfüllt ist’. Die Arbeitszeiten in LU werden nicht anerkannt, weil ich “unmittelbar vor der Arbeitslosenmeldung nicht versicherungspflichtig in der BRD beschäftigt gewesen” bin. Diese Entscheidung beruht auf §§ 117, 123, 124, 190, 192 SGB III.
Was soll das eigentlich bedeuten? Ich habe überall gelesen, dass die Arbeitszeiten in LU in D anerkannt werden und man Anspruch auf das ALG hat.
Hat jemand von euch auch einen solchen Fall gehabt?
Beim Arbeitsamt war ich noch nicht. Ich gehe erst am Dienstag. Aber die Situation ist für mich völlig unklar.”
Jawohl, dies ist schon der zweite Fall im Forum! Und das gibt zu denken: Hat die Agentur für Arbeit Grenzgänger als Opfer von Sparmaßnahmen entdeckt?!
Nachstehend die zitierten §§ des Sozialgesetzbuches
(Von “Sozialversicherung in der Bundesrepublik” ist nirgends etwas zu finden!)
§ 117
Anspruch auf Arbeitslosengeld
(1) Anspruch auf Arbeitslosengeld haben Arbeitnehmer, die
1. arbeitslos sind,
2. sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und
3. die Anwartschaftszeit erfüllt haben.
(2) Arbeitnehmer, die das fünfundsechzigste Lebensjahr vollendet haben, haben vom Beginn des folgenden Monats an keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld.
Text des § 117 SGB III ab 01.01.2005
§ 117
Anspruch auf Arbeitslosengeld
(1) Arbeitnehmer haben Anspruch auf Arbeitslosengeld
1. bei Arbeitslosigkeit oder
2. bei beruflicher Weiterbildung.
(2) Arbeitnehmer, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, haben vom Beginn des folgenden Monats an keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld.
In der Fassung des Gesetzes zur Intensivierung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und damit zusammenhängender Steuerhinterziehung vom 23. Juli 2004 (BGBl. I S. 1842)
§ 123
Anwartschaftszeit
Die Anwartschaftszeit hat erfüllt, wer in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Zeiten, die vor dem Tag liegen, an dem der Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe wegen des Eintritts einer Sperrzeit erloschen ist, dienen nicht zur Erfüllung der Anwartschaftszeit.
Text des § 123 SGB III ab 01.01.2005
Die Anwartschaftszeit hat erfüllt, wer in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Zeiten, die vor dem Tag liegen, an dem der Anspruch auf Arbeitslosengeld wegen des Eintritts einer Sperrzeit erloschen ist, dienen nicht zur Erfüllung der Anwartschaftszeit.
In der Fassung des Gesetzes zur Intensivierung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und damit zusammenhängender Steuerhinterziehung vom 23. Juli 2004 (BGBl. I S. 1842)
§ 124
Rahmenfrist
(1) Die Rahmenfrist beträgt zwei Jahre und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld.
(2) Die Rahmenfrist reicht nicht in eine vorangegangene Rahmenfrist hinein, in der der Arbeitslose eine Anwartschaftszeit erfüllt hatte.
(3) In die Rahmenfrist werden Zeiten nicht eingerechnet, in denen der Arbeitslose von einem Rehabilitationsträger Übergangsgeld wegen einer berufsfördernden Maßnahme bezogen hat. In diesem Falle endet die Rahmenfrist spätestens nach fünf Jahren seit ihrem Beginn.
n der Fassung des Gesetzes zur Intensivierung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und damit zusammenhängender Steuerhinterziehung vom 23. Juli 2004 (BGBl. I S. 1842)
§ 190
Anspruch
(1) Anspruch auf Arbeitslosenhilfe haben Arbeitnehmer, die
1. arbeitslos sind,
2. sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet haben,
3. einen Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht haben, weil sie die Anwartschaftszeit nicht erfüllt haben,
4. in der Vorfrist Arbeitslosengeld bezogen haben, ohne dass der Anspruch wegen des Eintritts von Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt 21 Wochen erloschen ist und
5. bedürftig sind.
(2) Arbeitnehmer, die das fünfundsechzigste Lebensjahr vollendet haben, haben vom Beginn des folgenden Monats an keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe.
(3) Die Arbeitslosenhilfe darf längstens bis zum 31. Dezember 2004 bewilligt werden.
Text des § 190 SGB III ab 01.01.2005
§ 190
(aufgehoben)
In der Fassung des Gesetzes zur Intensivierung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und damit zusammenhängender Steuerhinterziehung vom 23. Juli 2004 (BGBl. I S. 1842)
§ 192
Vorfrist
Die Vorfrist beträgt ein Jahr und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosenhilfe. Sie verlängert sich um Zeiten, in denen der Arbeitslose innerhalb der letzten drei Jahre vor dem Tag, an dem die sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosenhilfe erfüllt sind,
1. nur deshalb einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe nicht hatte, weil er nicht bedürftig war, oder
2. nach dem Erwerb des Anspruchs auf Arbeitslosengeld eine mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende selbständige Tätigkeit ausgeübt hat,
3. als Pflegeperson einen der Pflegestufe I bis III im Sinne des Elften Buches zugeordneten Angehörigen, der Leistungen aus der sozialen oder einer privaten Pflegeversicherung nach dem Elften Buch oder Hilfe zur Pflege nach dem Bundessozialhilfegesetz oder gleichartige Leistungen nach anderen Vorschriften bezieht, wenigstens 14 Stunden wöchentlich gepflegt hat,
4. Unterhaltsgeld nach diesem Buch bezogen oder nur wegen des Vorrangs anderer Leistungen nicht bezogen hat oder
5. von einem Rehabilitationsträger Übergangsgeld wegen einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben bezogen hat,
längstens jedoch um zwei Jahre. Sie verlängert sich in den Sonderfällen des § 85 Abs. 2 Satz 3 längstens um drei Jahre. Satz 2 Nr. 3 gilt nur für pflegebedürftige Angehörige des Arbeitslosen, seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartners oder einer Person, die mit dem Arbeitslosen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt.
Text des § 192 SGB III ab 01.01.2005
§ 192
(aufgehoben)
Widerspruch einlegen!
Als erste Vorsichtsmaßnahme ist dringend zu empfehlen, innerhalb der im Ablehnungsbescheid genannten Widerspruchsfrist per Einschreiben mit Rückschein Widerspruch einzulegen.
Sodann sollte man überprüfen, ob man einen im Sozialrecht beschlagenen Anwalt hinzuzieht.
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Meffo
Da es sich hier allem Anschein nach wieder um eine juristische Läuseknackerei handelt, kann ich nur wiederholen, das Angebot des Kollegen Wolfgang Schnarrbach, (dometic Hosingen) anzunehmen:
Wolfgang Schnarrbach [[email protected]]
Der OGB-L sei ggf. bereit, sich juristisch in dieser Angelegenheit zu engagieren.
So die Aussage des Präsidenten der Sektion Grenzgänger in dieser Gewerkschaft.
Otto1
Tja, genau das bekam ich heute von meinem Arbeitsamt auch zu hören:
Kein Anspruch, weil nach der Tätigkeit im Ausland keine versicherungspflichtige Beschäftigung im Inland. Man berief sich auf eine uralte "EWG Regelung", die noch immer gelte und man könne "da eben nix machen".
Ich war bis 2001 versicherungspflichtig in DE beschäftigt, dann selbständig und nun gut zwei Jahre in LU angestellt.
Gegen den ablehnenden Bescheid habe ich heute Widerspruch eingelegt.
Das ist doch wohl ein schlechter Witz! Wo soll ich denn jetzt für einen Tag einen versicherungspflichtigen Job herkriegen?!? Und warum bin ich wohl beim Arbeitsamt? Na, wohl eben weil ich keinen Job habe!
Ein Bekannter von mir aus dem Saarland war auch in LU beschäftigt und dort bekam er ohne jedes Problem das Arbeitslosengeld genehmigt, obwohl er vor der Anstellung in LU vor über zehn Jahren in DE versicherungspflichtig beschäftigt war (danach wie ich in DE selbständig) und auch nach LU auch keine versicherungspflichtige Beschäftigung in DE ausgeübt hat. Macht da jede Arbeitsagentur, was sie will, oder wie?
Für jede Art von Hilfe und Unterstützung wäre ich sehr dankbar.
BEETLE
Man hat den Eindruck, man befände sich in einem rechtfreien Raum! Das ist ja megakrass!!! Ich arbeite nun seit fast einem Jahr in Luxemburg und bevor ich diesen Job angenommen habe, habe ich mich erkundigt, weil ja auch die Wahl des Wohnsitzes eine große Rolle spielt. Mir wurde erklärt, dass, wenn mein Wohnsitz in Deutschland sei, ich als Grenzgänger die Anwartschaft auf ALU in Deutschland nicht verlöre - alles würde angerechnet. Allein die Tatsache, in Lux alle Abgaben zu leisten und am Ende doch wieder ins deutsche System 'abgeschoben' zu werden ist nicht wirklich logisch - aber der Wohnsitz entscheidet!
Nach dem was Spider23 hier geschildert hat, entscheidet hier wohl die jeweilige Agentur für Arbeit unter Berufung auf unterschiedliche Paragraphen. Alles Auslegungssache und am Ende stehste ohne da, oder wie, es sei denn man läßt sich auf eine dubiose Regelung ein wie diese...? Das kann es nicht sein! Frage mich, was die EU-Politiker den ganzen Tag treiben... Harmonisierung von Toilettendeckeln?
Jumbo
Ein ganz dickes LOB an den Steuerberater.
Der Mann oder Frau ist Klasse.
Hatte diese Probleme nicht, bei mir ging beim Arbeitsamt alles reibungslos über die Bühne. Nur die Jobsuche in Luxemburg wie auch in D ist katastrophal.
Viel Glück jumbo
ssnopy
endlich mal was positives vom OGBL
Jürgen
Spider23
Hallo!
Auch mir wurde im September in Luxembourg gekündigt und ich habe mich an meinem Heimatort Köln arbeitslos gemeldet. Meine Bescheinigung E301 habe ich sehr zügig bekommen und habe den Antrag auf Arbeitslosengeld stellen wollen.
Mir wurde gesagt, der Antrag würde sofort abgelehnt, da ich in den letzen 3 Jahren nicht sozialversicherungspflichtig in Deutschland beschäftigt war.
Allerdings gebe es da eine Vorschrift, die besagt:
Ich muß nach meinem Arbeitsaufenthalt im Ausland (Luxembourg) mindestens 1 Tag in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sein. Egal ob als Tellerwäscher, Host-Programmierer (mein eigentl. Beruf), oder sonstwas.
Auf meine Frage, ob man mir das näher erläutern könnte, war die Aussage: Das könnte man nicht, aber das wäre eben so.
Normalerweise findet man ja niemand, der einen nun für mindestens 1 Tag beschäftigt. Ich hatte Glück und mein Steuerberater hat mich für 1 Tag bei sich als Büroaushilfe mit Zeitvertrag für diesen Tag (Verdienst: 100 EUR) eingestellt und die An-/Abmeldung bei Krankenkasse und BfA durchgeführt.
Es wurde mir eine Arbeitsbescheinigung für das Arbeitsamt ausgestellt.
Das ganze muß ich allerdings bezahlen, ist ja klar.
Bei meinem nächsten Besuch beim Arbeitsamt ging alles sehr zügig in Ordnung.
Die Sachbearbeiterin war allerdings verblüfft, denn ich war nach Ihrer Aussage der erste der das geforderte Stolpersteinchen geschafft hat, innerhalb kurzer Zeit.
Der Arbeitslosengeldantrag wurde sehr schnell genehmigt. Allerdings läuft er erst ab dem Tag nach der Eintagsbeschäftigung in Deutschland.
** EUROPA ist in Deutschland noch sehr weit weg. Vor allem mit dieser Regierung!!
Es würde mich freuen, mit diesen Ausführungen etwas weitergeholfen zu haben.
Grüße aus Köln
Spider23
Meffo
Wer als deutscher Grenzgänger, der in Luxemburg gekündigt worden ist, tatsächlich einen ablehnenden Bescheid von der für ihn zuständigen Agentur für Arbeit erhalten hat, soll sich diesbezüglich bei dem Präsidenten der Sektion Grenzgänger, Kollege Wolfgang Schnarrbach melden:
Wolfgang Schnarrbach [[email protected]]
Er ist bereit, die konkrete Angelegenheit zu überprüfen und wird sich, falls nötig, auch mit juristischen Mitteln engagieren.
ssnopy
ca .400 € kostet ein Ferfahren vor dem Sozialgericht.Mein An walt ist etwas skeptisch was die Erfogsausichten betriffft.Man sollte aber auf jeden fall den Gang nicht scheuen.An den Kompetente mann beim OGBL Herrn Perreira ist leider kaum ranzukommen.
Jürgen
Meffo
"Sozialversicherungspflichte Beschäfigungen im Ausland, inbesondere für Grenzgänger, können unter bestimmten Voraussetzungen auch anspruchsbegründend für Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung sein. Mit einem leistungablehnenden Bescheid wenden Sie sich zur Beratung an Ihre Gewerkschaft.
Mit freundlichen Grüßen
Renate Gabke
DGB Bundesvorstand
Vorstandsbereich Engelen-Kefer
Abteilung Arbeits- und Sozialrecht"
Hamisso
Von Wolfgang Schnarrbach, Sektion Deustche Grenzgänger, OGB-L:
"Hallo Kollegen,
in der Frage des Arbeitslosengeldes hat sich in diesem Jahr noch keine Änderung ergeben.
Wer in Deutschland Anrecht auf Arbeitslosengeld hat dieses Recht auch in jedem anderen EU Land.
Für jedes EU Land muss das E 301 ausgefüllt werden und dieses Formular bescheinigt den Anspruch auf Arbeitslosengeld im Wohnsitzland.
Die Frage nach dem Wohnsitz muss ganz klar im Einwohnermeldeamt bescheinigt sein.
Aber der Anspruch für Grenzgänger hat sich in dieser Hinsicht nicht geändert.
Ich hoffe eure Frage ist damit beantwortet.
Bis bald Wolfgang Schnarrbach"
Meffo
Der EURES-Berater Arbeitsagentur Trier antwortet auf unsere Anfrage hin Folgendes:
"Die Zeit der beitragspflichtigen Beschäftigung eines Grenzgängers (Nachweis mit der europäischen Arbeitsbescheinigung E 301) wird bei Eintritt von Arbeitslosigkeit und der Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen (persönliche Arbeitslosmeldung, Erfüllung der Anwartschaftszeiten im Bemessungszeitraum, Verfügbarkeit, etc.) von der zuständigen Agentur für Arbeit auch weiterhin so berücksichtigt als wäre diese Zeit im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuch III zurückgelegt worden.
Hier ist mir keine Gesetzesänderung bekannt.
Die Grenzgängereigenschaft muss allerdings erfüllt sein, das heißt Wohnsitz während der Zeit der Beschäftigung in Luxemburg war Deutschland, und der/die Arbeitnehmer/in ist mindestens einmal wöchentlich zu seinem/ihrem deutschen Wohnsitz gependelt.
Bei den von Ihnen angeführten Sachverhalten müssen entweder andere Gründe zu einer Ablehnung geführt haben oder die zuständige Agentur für Arbeit hat geltendes EU-Recht falsch angewendet. Dies vermag ich aus der Ferne natürlich nicht zu beurteilen.
Richtigerweise raten Sie den Menschen ja auch dazu, fristgerecht Widerspruch gegen die getroffene Entscheidung zu erheben und weisen auf die jeweiligen Rechtsquellen im SGB III hin.
Ich gehe davon aus, dass die zuständige Agentur für Arbeit die getroffene Entscheidung umgehend korrigiert, sofern und soweit die Regelungen des SGB III und der einschlägigen EG-VO dies gebieten."