Herta Müllers Platz war bislang einer jenseits der deutschen Bestsellerlisten. Zu eigen schien vielen die Sprache, zu unpopulär ihr Thema Ceaucescu-Diktatur: Die erste Auflage von Müllers jüngstem Buch “Atemschaukel” ist noch nicht vergriffen, obwohl es die Kritik feierte und der frühere Kulturstaatsminister Michael Naumann von einem “atemberaubenden Meisterwerk” schwärmte. Doch nun hat die bis 1987 in Rumänien lebende Berlinerin mit dem Literatur-Nobelpreis den Weg ins Rampenlicht genommen.Müller reagierte in einer ersten Reaktion perplex auf die Nachricht aus Stockholm. “Ich bin überrascht und kann es noch immer nicht glauben, mehr kann ich im Moment nicht dazu sagen.” Kurz vor der Entscheidung des Auswahlkomitees in Stockholm war ihr Name zwar in die Liste der Favoriten gerückt. Doch dass sich die Jury anstatt des Israelis Amos Oz oder des US-Amerikaners Philip Roth für sie entschied, ist doch eine Sensation. “Die Verdichtung der Poesie und Sachlichkeit der Prosa” in ihrem Werk gab für das Komitee den Ausschlag. Bereits zum achten Mal geht damit der Literatur-Nobelpreis nach Deutschland, aber zum ersten Mal an eine weibliche deutsche Autorin.Müller wurde am 17. August 1953 in Nitzkydorf im Banat in Rumänien geboren. Ihre Eltern gehörten der deutschsprachigen Minderheit in Rumänien an, den Banater Schwaben. Von 1973 bis 1976 studierte Müller in Temeswar deutsche und rumänische Literatur und knüpfte Kontakte zu einem Kreis junger deutschsprachiger Autoren, der in Opposition zum damaligen Regime von Nicolae Ceaucescu für Meinungsfreiheit eintrat.Nach ihrem Studium begann Müller als Übersetzerin in einer Maschinenfabrik, sie übersetzte die Beschreibungen für aus der DDR, Österreich und der Schweiz importierte Maschinen. Zwei Mal wollte sie der rumänische Geheimdienst Securitate dort als Spitzel anwerben. Als sie sich weigerte, wurde sie drastisch bedroht: “Es wird dir noch leidtun, wir ersäufen dich im Fluss”, sagten ihre Peiniger, wie Müller im Juli in einem biographischen Text für “Die Zeit” schrieb.In ihrer damaligen Klemme habe sie mit den Prosastücken der Novellensammlung “Niederungen” begonnen. Sie habe dafür ihr eigenes Leben mit der Vergangenheit des im Zweiten Weltkrieg für die Waffen-SS kämpfenden Vaters durchkämmt sowie die Willkür der rumänischen Diktatur. Deren Eingriff in ihre Freiheit bekam die junge Schriftstellerin unmittelbar zu spüren: In Rumänien kam “Niederungen” 1982 nur zensiert auf den Markt. 1984 erschien “Drückender Tango”, eine Schilderung von Unterdrückung und Intoleranz in einem kleinen deutschsprachigen Dorf. Müller errang mit den zwei Werken außerhalb ihrer damaligen Heimat Anerkennung, in Rumänien bekam sie aber Publikationsverbot.Mit ihrem damaligen Mann, dem Schriftsteller Richard Wagner, emigrierte Müller 1987 nach Deutschland und lebt dort in Berlin. Hier fand sie die Freiheit, ohne staatliche Repressionen zu schreiben. Die Romane “Der Fuchs war damals schon der Jäger” (1992), “Herztier (1994) und “Heute wär ich mir lieber nicht begegnet” (1997) drehten sich weiter um ihr Lebensthema, den Alltag in einer erstarrten Diktatur.Im August erschien “Atemschaukel”. Es ist die Leidensgeschichte des 1945 für fünf Jahre zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion verschleppten 17-jährigen Banater Schwaben Leo Auberg. Müller kannte das Thema ihres Buchs aus Kindheitstagen, auch ihre Mutter hatte diese Verschleppung erlitten. Für das Werk hatte sie akribisch mit dem ebenfalls verschleppten Dichter Oskar Pastior recherchiert, nach dessen Tod 2006 vollendete sie es in Eigenregie. Müller wurde für “Atemschaukel” auch als eine von sechs Finalisten für den Deutschen Buchpreis nominiert, der am Montag auf der Frankfurter Buchmesse verliehen wird.Bereits im September erhielt Müller in Düsseldorf die Heinrich-Heine-Ehrengabe. In seiner Laudatio würdigte Michael Naumann sie da als “politische Poetin”. Und Naumann gab auch Antwort, warum Müller 20 Jahre nach dessen Tod nicht endlich das Thema Ceaucescu abschließe. Die Antwort sei immer dieselbe – um der Opfer willen werde die Literatin nicht schweigen.