Seit Juli 2016 haben nicht leibliche Kinder von Grenzgängern, wie es häufig in Patchwork-Familien vorkommt, keinen Anspruch mehr auf Familienleistungen aus dem Großherzogtum.

Kindergeld stellt aber eine soziale Vergünstigung und eine Leistung der sozialen Sicherheit dar; es unterliegt daher dem Gleichbehandlungsgrundsatz.
Das hat der Europäische Gerichtshof in Luxemburg am 2. April 2020 entschieden.

Seit Inkrafttreten dieses Gesetzes im Jahr 2016 bekamen Grenzgänger kein Kindergeld mehr für die Kinder, die nicht seine leiblichen Kinder sind und laut dem Gesetz keine Familienangehörige darstellen.
Pascal Peuvrel, Rechtsanwalt am Gerichtshof in Luxemburg, hatte gegen das neue Gesetz geklagt und jetzt, nach vier Jahren, den Rechtsstreit gewonnen.
“Das ist ein großer Sieg für Grenzgänger, der am 2. April 2020 vor dem Gerichtshof der Europäischen Union bezüglich der Familienzulagen für die nicht leiblichen Kinder von Grenzgängern erzielt wurde”, betont Peuvrel.

Kindergeld für Grenzgänger soziale Vergünstigung

In seinem Urteil weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass der Begriff der sozialen Vergünstigung im Fall von Arbeitnehmern, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind, alle Vergünstigungen umfasst, die – ob sie an einen Arbeitsvertrag anknüpfen oder nicht – den inländischen Arbeitnehmern im Allgemeinen gewährt werden, und zwar hauptsächlich wegen ihrer objektiven Arbeitnehmereigenschaft oder einfach wegen ihres Wohnorts im Inland. Dann führt er aus, dass ausweislich der ihm vorliegenden Akte das fragliche Kindergeld, das eine Vergünstigung darstellt, bei einem Grenzgänger an die Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit in Luxemburg geknüpft ist. Es wurde  ursprünglich nur gewährt, weil er ein den luxemburgischen Rechtsvorschriften unterliegender Grenzgänger war. Der Gerichtshof zieht daraus die Schlussfolgerung, dass Kindergeld, das an die Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit eines Grenzgängers in einem Mitgliedstaat geknüpft ist, eine soziale Vergünstigung darstellt.

Zu dem Verhältnis zwischen dem Grenzgänger und einem bei ihm lebenden Kind weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass die betreffende Leistung für alle in Luxemburg wohnenden Kinder sowie für alle Kinder von gebietsfremden Arbeitnehmern, die ein Abstammungsverhältnis zu Letzteren aufweisen, ausgezahlt wird. Diese Leistung wird folglich aufgrund eines gesetzlich definierten Tatbestands unabhängig von einer im Ermessen liegenden individuellen Prüfung der persönlichen Bedürftigkeit gewährt. Zudem stellt die fragliche Leistung einen staatlichen Beitrag zum Familienbudget dar, der dazu dienen soll, die Kosten für den Unterhalt von Kindern zu verringern. Der Gerichtshof kommt daher zum Ergebnis, dass dieses Kindergeld eine Leistung der sozialen Sicherheit darstellt, was die Anwendbarkeit der Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit zur Folge hat. Der Gerichtshof führt weiter aus, dass diese Verordnung im Falle eines Grenzgängers zur Anwendung kommt, da sie für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen gilt.

Im Übrigen erinnert der Gerichtshof daran, dass die Familienangehörigen eines Wanderarbeitnehmers mittelbare Nutznießer der diesem Arbeitnehmer durch die Arbeitnehmerfreizügigkeitsverordnung zuerkannten Gleichbehandlung in Bezug auf die sozialen Vergünstigungen sind. Ferner ist nach Ansicht des Gerichtshofs unter dem Kind eines Grenzgängers, dem diese sozialen Vergünstigungen mittelbar zugutekommen können, nicht nur ein Kind zu verstehen, das zu diesem Erwerbstätigen in einem Abstammungsverhältnis steht, sondern auch das Kind des Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartners des Erwerbstätigen, wenn letzterer zum Unterhalt des Kindes beiträgt.

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Grundsatz der Gleichbehandlung

Der Grundsatz der Gleichbehandlung verbietet nicht nur unmittelbare Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle mittelbaren Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zum gleichen Ergebnis führen.  Nach den geltenden luxemburgischen Rechtsvorschriften haben alle in Luxemburg wohnenden Kinder unabhängig von ihrem Status innerhalb des Haushalts des Arbeitnehmers Anspruch auf dieses Kindergeld. Gebietsfremde Arbeitnehmer können es hingegen nur für ihre eigenen Kinder in Anspruch nehmen und nicht für die Kinder ihres Ehepartners, die zu ihnen in keinem Abstammungsverhältnis stehen. Eine solche auf dem Wohnsitz beruhende Unterscheidung, die sich stärker zum Nachteil der Angehörigen anderer Mitgliedstaaten auswirken kann, da Gebietsfremde meist Ausländer sind, stellt eine mittelbare Ungleichbehandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit dar, die nur dann zulässig wäre, wenn sie objektiv gerechtfertigt wäre, was in der fraglichen Rechtssache nicht der Fall ist.

Der Gerichtshof betont, dass sich zwar nach dem nationalen Recht bestimmt, welche Personen Anspruch auf Familienleistungen haben, dass aber gleichwohl die Mitgliedstaaten das Unionsrecht, im vorliegenden Fall die Bestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, beachten müssen. Daher steht der Gleichbehandlungsgrundsatz speziell auf dem Gebiet der Gewährung sozialer Vergünstigungen Vorschriften eines Mitgliedstaats entgegen, wonach gebietsfremde Arbeitnehmer eine Leistung wie Kindergeld nur für ihre eigenen Kinder beziehen können und nicht für die Kinder ihres Ehepartners, die in keinem Abstammungsverhältnis zu ihnen stehen, aber für deren Unterhalt sie aufkommen, während alle in diesem Mitgliedstaat wohnenden Kinder Anspruch auf dieses Kindergeld haben.

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